Was darf ein Pferd fressen? Wie viel darf es fressen? Das dürfen die Pferde häufig nicht selbst entscheiden. Der Mensch hält es nicht nur in Gefangenschaft, sondern spricht ihm auch sämtliche Fähigkeiten, für sich selbst zu sorgen ab. Er nennt das Fürsorge. Dazu gehört auch, dass in den Ställen Heu abgewogen wird, damit das Pferd nicht mehr als die empfohlene Menge erhält. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Schwergewichtsboxer genauso viel Energie zu sich nehmen darf, wie eine gleichgewichtige Couchpotatoe, startet bei mir gleich Kopfkino. Was Pferde von der Futterbeschränkung halten, das habe ich Ilka Erraoui gefragt. Sie ist Tierkommunikatorin und hat bei den Tieren mal genau nachgefragt.
Was brauchen Pferde?
Allgemein bekannt ist, dass Pferde Flucht-, Steppen- und Herdentiere sind. Das können schon die Pferdemädchen nach ihrem Basiskurs aufsagen. Aber was bedeutet das?
Das Pferd als Fluchttier
Ganz klar: Wer sein Heil in der Flucht suchen muss, weil die Natur das so geplant hat, muss rennen können. Pferde können bis zu 70 km/h schnell sein. Das ist ein hohes Tempo, welches sie aber nur in großer Not anschlagen. Normalerweise bewegen sich Pferde im Schritt vorwärts und grasen dabei. Wer nur durch Flucht überleben kann, muss gut zu Fuß sein – sprich: Die Hufe müssen tiptop in Ordnung sein, damit die aufgewendete Kraft auch optimal in Bewegung umgesetzt werden kann. Zum anderen braucht das Pferd die Möglichkeit, in Form zu bleiben. Training ist für jeden Sportler das A und O. Bei den Pferden geht es nicht um Trophäen, sondern um das nackte Überlegen. Deshalb hält man sie in der Gefangenschaft am besten auf einem Paddocktrail. Sie haben hier einen Endlosweg, auf dem sie so richtig Gas geben können. Als Fluchttiere müssen Pferde sofort auf veränderte Situationen reagieren. Deshalb lernen sie sehr schnell – nicht nur dummes Zeug, sondern auch gute Verhaltensweisen. 😉 Was macht pferd, wenn es sich langweilt? Fressen, falls etwas da ist. Irgendwie muss es sich beschäftigen. Auf dem Paddocktrail hat man viele Möglichkeiten, dem Tier ein paar Überraschungen zu bereiten. Man kann z. B. Wege verlegen oder Hindernisse aufbauen. Das können Baumstämme oder ein Zweighaufen sein, über die das ´Pferd klettern muss – oder eine Plane, die mitten auf dem Weg liegt, eine Möhre, die von einem Baum herunter hängt. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. 🙂
So trainiert es Kondition, Muskulatur und Reaktionsfähigkeit, ohne dass der Mensch sich damit befassen muss. Ist doch toll, oder? Das bleibt mehr Zeit für gemeinsame Abenteuer von Mensch und Pferd. 🙂 Die Energie für die Kraftexplosion, die ein spontaner Galopp erfordert, deckt das Pferd mit seiner Nahrung.
Das Pferd als Steppentier
Die Haltungsform wird heiß diskutiert unter uns Pferdemenschen, aber beim Futter wird es so richtig haarig. Während einige Pferde abgewogenes Heu bekommen, steht anderen so viel zur Verfügung, wie sie fressen mögen. Auf Heurationierung reagieren Pferde mit Stress: Sie haben teilweise mit aufgeblähten Bäuchen zu kämpfen, neigen zur Kolik und sind grundsätzlich unzufrieden. Wir konnten das sehr gut nach dem Umzug unserer Pferde auf den SEEMOORHOF beobachten. Madeira kam aus Boxen-/Paddockhaltung, Domino aus dem Offenstall. Beide kannten nur feste Futterzeiten und Rationierung. Seit anderthalb Jahren haben sie 24/7 Heu und Wasser zur Verfügung. Ein paar Tage lang waren wir wirklich unsicher, ob es die richtige Entscheidung war, den Pferden den Zugang zum Futter nicht zu beschränken – gerade aktuell, wo Heu fast mit Gold aufgewogen wird. 😉 Aber nach drei, vier Tagen hatten sie begriffen, dass immer Futter da ist und fingen an, sich anders zu beschäftigen: Sie wanderten über den Trail, schauten in die Ferne, beknusperten sich, setzen sich mit den Veränderungen, die wir ihnen täglich anboten, auseinander. Unsere Pferde haben gut an Muskulatur zugelegt, sind zufrieden und gerne bereit, mit uns etwas zu unternehmen. Madeira sah bis dahin oft wie eine Tonne auf Beinen aus. Das war auch beim Reiten schwierig, denn ich konnte kaum Kontakt zum Pferdebauch herstellen. Nach der Futterumstellung hat sie nicht nur Fett gegen Muskeln tauschen können, sondern sich auch von den Gasen in ihrem Bauch verabschieden können. Sie ist gut gelaunt, und natürlich hat sich dadurch auch unsere Kommunikation beim Reiten verbessert.
Soweit so gut. Aber welches Rauhfutter sollen Pferde bekommen? Wir erinnern uns: Pferde kommen aus der Steppe. Die Evolution hat mit dem Tempo der Domestizierung nicht mithalten können. Das Verdauungssystem der Pferde ist immer noch auf Schmalkost ausgerichtet und nicht auf fette Wiesen. In der Steppe gibt es einmal im Jahr für kurze Zeit grünes Futter. Danach ist Ebbe. Nach dem Versamen zieht die Pflanze ihre Energie zurück in die Wurzel, um für die nächste Vermehrungsperiode Kraft zu haben. Den Pferden bleiben also nur die energiearmen Halme, um ihren Bedarf zu decken. Deshalb sind sie auch fast den ganzen Tag unterwegs und futtern, was ihnen unter das Maul kommt. Zucker – wie in Heulage – kommt darin nicht vor. Deshalb ist auch kein Teil im Pferdekörper darauf eingestellt, sich damit auseinanderzusetzen. Was tun? Irgendwie muss das Zeug aus dem Körper raus. Was nicht den Weg über Nieren und Darm nehmen kann, geht über die Haut. Dann riechen Pferde nach Pferd. Unsere Mädels rochen früher auch so. Seit sie gutes Heu bekommen, ist das Geschichte. Das Fell ist auch nicht mehr vom Schweiß verklebt. Die Pferde riechen nicht nur besser, sondern fassen sich auch besser an. Da kommt Freude auf! 🙂
Damit die Pferde vom energiereichen Raufutter, also Heulage, nicht dick werden, wird den Pferden das Fressen erschwert. Heunetze sollen hier die Lösung sein. Die Pferde fressen durch diese viel langsamer und nehmen dadurch über den Tag natürlich auch weniger Energie zu sich. Wir erinnern uns: Der Verdauungstrakt der Pferde ist darauf ausgerichtet, über viele Stunden viel energiearmes Material zuverarbeiten. Wenn jetzt konstant weniger Futter in den Darm kommt, stört das diesen in seiner Funktion. Die Folge können Koliken und Stoffwechselerkrankungen sein. Ilka Erraoui hat sich die Frage gestellt, wie die Pferde Heunetze wahrnehmen und die Tiere deshalb direkt danach gefragt. Die Antworten sind im folgenden Video zu finden.
Das Pferd als Herdentier
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf das dritte große Bedürfnis der Pferde eingehen: Sie brauchen eine Herde. Sozialkontakt ist für Pferde sehr wichtig. Das trägt dazu bei, dass sie gesund bleiben. Leider sieht man immer mal wieder, dass nur ein oder zwei Pferde auf der Wiese hinter dem Haus stehen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man als Pferdebesitzer seinen Liebling bei sich haben mag. Aber die Bedingungen müssen stimmen. Es braucht neben gutem Heu in ausreichender Menge und frischem Wasser, Bewegung und Abwechselung seine Artgenossen.
Wir halten die Pferde gefangen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es ihnen gut geht. Mit einer naturnahen Haltung hat man die größten Chancen, sein Pferd gesund zu erhalten und ihn ihm einen Partner, Freund, Seelenverwandten und Lehrer zu finden.