
Liebe muss wachsen
Was ist wohl das größte Problem, mit dem sich ein Pferd herumschlagen muss? Der Mensch. Meist ist er nicht nur das größte, sondern auch das gewichtigste Problem – in doppelter Hinsicht. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die meisten Menschen ihre Pferde lieben. Es gibt auch andere, aber die sind ein anderes Thema, über das man länger philosophieren könnte. Ich bleibe also bei den Menschen, die ihre Pferde lieben. Ich liebe Madeira. Diese Liebe musste sich erst einstellen – aber auch das würde jetzt den Rahmen sprengen. 😉
Von dem Tag an, an dem Madeira mein war, tat ich alles, was ich konnte, um ihr ein schönes Leben zu bieten. Das war am Anfang nicht so viel, denn ich war ja ganz frisch in der Pferdeszene, sozusagen ein Azubi. Aber, ich bin ja ein schlaues Menschlein, ich fragte einfach die Profis im Stall, was man einem Pferd so Gutes tun kann. Ein Tipp war: „Du solltest dein Pferd einmal im Jahr von einem Osteopathen untersuchen lassen.“ OK. Das konnte ich. Also brachte ich erstmal in Erfahrung, was ein Osteopath so macht und wie ich einen finden konnte. Wie der Zufall so spielte, kam regelmäßig eine Tierärztin auf den Hof – eine Chiropraktikerin. Ich war fasziniert von der Reaktion meiner Stute auf die Behandlung. Madeira war zu dem Zeitpunkt noch sehr unsicher und konnte von jetzt auf gleich explodieren. Aber sie ließ sich fallen und fing an zu kauen. Ich war begeistert, wenngleich ich hinterher nicht sagen konnte, ob sich an ihr physisch irgendwas verändert hatte. Aber sie so entspannt zu sehen, war für mich schon ein Highlight, das den Preis wert war. 🙂
Bei der nächsten Behandlerin war das schon ganz anders. Ich hatte durch Lesen und Madeira viel gelernt, so dass ich Fragen stellen konnte. Dadurch bekam ich ein anderes Verständnis für die Behandlung und die Konsequenzen, nämlich ein maßgeschneidertes Training zu absolvieren. Danach traf ich auf eine Osteopathin, die alles nochmals auf den Kopf stellte. Sie arbeitete mit Madeira ganz anders, als ihre Vorgängerinnen. Diese Behandlerin nahm sich viel Zeit, mir den Zweck der Übungen zu erklären. So konnte ich mein Pferd noch besser fördern, was sie mit noch mehr Vertrauen und damit Losgelassenheit belohnte. 🙂
Loslassen beginnt im Kopf
Die Geschichte nahm ihren Lauf, ich wollte wissen, wie man ein Pferd osteopathisch behandelt. Zwischen den Kursblocks übe ich mit einer Studienkollegin. Wir suchen uns wahllos Pferde aus, die wir befunden und behandeln können: junge und alte, Schulpferde oder Besitzerpferde. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich noch kein Pferd unter den Fingern hatte, das eine weiche Nackenmuskulatur aufwies – Madeira eingeschlossen. Wie kann das sein? Madeira wird regelmäßig behandelt, und ich weiß sicher, dass auch jedesmal der Atlas-Axis-Bereich mobilisiert wird. Was läuft da falsch?
Also ging ich in die Analyse: Madeira wird gebisslos geritten. Früher legte sie sich immer auf die Trense, das war ja nun nicht mehr möglich. Physisch nicht, aber psychisch! Madeira reagierte auf Zügeldruck – egal, wie weich der war – immer mit einer Anspannung der Nackenmuskulatur. Da muss man erstmal drauf kommen! Das erklärt mir jetzt auch, warum sie sich in der Bodenarbeit nur schwer stellen konnte. Sie knickte dann doch lieber im Hals ab. Mir war klar: So lange sie mit diesem Muster auf meine Zügelhilfen antwortete, war losgelassenes Reiten nicht möglich. Da kann man die Muskeln behandeln, so lange man will. Die Ursache muss behoben werden, statt nur das Symptom kurzzeitig abzuschalten. Ich habe dann Madeira gezeigt, dass Stellen nichts Schlimmes ist und auch gar nicht weh tut. Ich hätte vor Glück und Erleichterung weinen können, als sie das begriffen hatte. Man hat so richtig das „Klick“ gehört. 🙂
Das ist jetzt knapp eine Woche her. Seitdem ist das Reiten ein Traum. Madeiras Hals hat einen schönen Schwung nach oben. Sie ist federleicht in der Zügelführung, sogar das Antraben ist jetzt moderat. Ich habe früher beim Ausreiten an manchen Tagen fast nur Abbiegeübungen und Volten mit ihr geübt, weil sie mir einfach zu hektisch war. Jetzt trabt sie ganz entspannt an – Kopf wunderbar beigezäumt, so dass die Rückenmuskeln endlich ins Geschehen einbezogen werden. Mir ist auch aufgefallen, dass die sich verändert haben. Früher fiel der Rücken von den Dornfortsätzen aus leicht schräg ab. Jetzt habe ich eher ein Eindruck, dass der obere Rücken einem Platz ähnelt. Er ist flach und einladend. Er fühlt sich richtig an.
Die Moral aus der Geschicht‘? Immer schön die Augen und den Geist aufhalten. Nachfragen. Nachdenken. Ausprobieren. Austauschen. Man kann nicht alles wissen, aber man kann immer lernen. Nur weil etwas immer so war (z. B. Madeiras feste Nackenmuskulatur), muss das nicht richtig sein. Stellen Sie immer wieder Fragen – Ihnen selbst und Ihren Mitmenschen. 😉
Sie wollen auch verstehen, wie die Kräfte im Pferdekörper wirken? Dann melden Sie sich am besten heute noch bei unserem Basiskurs Anatomie an. Welchen Einfluss Zahnprobleme und Hufe die Muskulatur haben werden wir dann auch gleich klären.